Foodtrends: Antworten auf die Bedürfnisse von Konsument:innen
Hanni Rützler, Ernährungswissenschaftlerin, Geschäftsgründerin und -inhaberin von futurefoodstudio, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Foodtrends, die von nachhaltiger Bedeutung sein werden. Sie möchte Verständnis für Veränderungsprozesse vermitteln und Chancen aufzeigen, die der Wandel mit sich bringt. Im Interview spricht sie über die wichtigsten Erkenntnisse ihres 12. Food Reports und geht auf die Rolle des Lebensmitteleinzelhandels ein.
Kältenews: Was reizt Sie an den Entwicklungen im Foodbereich, dass Sie jedes Jahr einen Food Report schreiben?
Hanni Rützler: Ich habe das Thema Food schon früh für mich entdeckt. Während meines Ökologiestudiums in den USA lebte ich in drei verschiedenen Familien und sie hatten eines gemeinsam: schlechtes Essen. Es war mir unverständlich, wie so nette Menschen so schlecht essen können. Das hat mich so sehr beschäftigt, dass ich in Wien ein Studium irregulare begonnen und dafür alle Fächer zusammengesucht habe, die sich nicht nur mit Ernährung, sondern vor allem mit Essen befassen: von Chemie, Physik, Biologie, Psychologie und Soziologie bis hin zu Philosophie. Weil wir was, wie und warum wir essen, nicht nur aus naturwissenschaftlicher Perspektive betrachten können, wenn wir bessere Lösungen für unsere Ernährung finden wollen. Nach dem Studium habe ich an der ersten großen interdisziplinären Studie zur Esskultur in Österreich mitgearbeitet. Und meine Begegnung mit Matthias Horx, dem Gründer des Zukunftsinstituts, hat mich dann dazu geführt, nicht nur das Hier und Jetzt zu erforschen, sondern auch mögliche Zukünfte. Mit meinen Food Reports möchte ich Landwirte, Lebensmittelproduzenten, den Handel und Gastronomen dafür sensibilisieren, den Wandel außerhalb ihrer Unternehmen besser zu verstehen, um daraus im Inneren die für sie richtigen Strategien zu entwickeln. In meiner nächsten Publikation – so viel sei hier verraten – gehe ich noch einen Schritt weiter und versuche, die komplexen Zusammenhänge, die unser Essen und unsere Ernährung verändern, sichtbar zu machen.
Wie definieren Sie den Begriff Foodtrend?
Foodtrends sind aus meiner Sicht nicht schnelllebige Produkttrends, die wir in Supermärkten oder auf Instagram sehen. Sie sind Antworten auf Bedürfnisse der Konsument:innen und enthalten Lösungsvorschläge für Probleme in unserem Ernährungssystem. Es sind längerfristige Trends, die sich im Schnitt über 10 bis 15 Jahre erstrecken. Sie entstehen meist in Nischen, an den Rändern unseres Ernährungssystems, und sie brauchen, um besser wahrgenommen zu werden, ein neues Wording. Ein Beispiel: Bei Lebensmitteln bleiben Regionalität und Herkunft ein wichtiges Thema, auch angesichts des Klimawandels. In diesem Zusammenhang wird in Österreich vermehrt Exotisches wie Oliven, Reis, Zitronen oder Ingwer angebaut. Dieses Phänomen der regionalen Produktion von exotischen Lebensmitteln habe ich „Local Exotics“ genannt und ist mittlerweile für immer mehr innovative Landwirte und Gärtner zu einer Inspirationsquelle geworden.
Welches sind die größten Foodtrends 2025?
Die mächtigen Trends der vergangenen Jahre „professionalisieren“ sich. Damit meine ich, dass sich wechselseitige Synergien zwischen den einzelnen Trends bilden und diese damit auch stärken. Daraus lassen sich drei Trendcluster abgeleitet: Gesundheit, Nachhaltigkeit und Klimaschutz; Food Waste und Wege aus der linearen Lebensmittelproduktion sowie Regionalität und Globalisierung in Produktion, Verarbeitung und Handel.
Wie können Ihrer Meinung nach Lebensmitteleinzelhändler*innen von den aktuellen Entwicklungen profitieren?
Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist der mächtigste Player im Food-Bereich. Die Innovationskraft in puncto Trends liegt allerdings in der Industrie; der Handel reagiert rasch und greift gute Ideen und Produkte auf. Er könnte seine Machtposition nutzen, um zum Beispiel Basiskriterien für Nachhaltigkeit zu etablieren. Da die Themen Nachhaltigkeit und Gesundheit immer wichtiger werden, könnte der LEH hier eine bedeutsame Rolle einnehmen, indem er den Kund:innen proaktiv neue Produkte aus diesem Themenspektrum schmackhaft macht. Das braucht einen langen Atem und eine klare Strategie. Auch in puncto Versorgungssicherheit ist das ein wichtiges Zukunftsthema. Wie schaffe ich es, dass es Kund:innen nicht mehr nur um den Preis geht? Das ist eine Herausforderung, führt aber dazu, dass man authentisch bleibt oder wird, Vertrauen bei den Kund:innen aufbaut und sie langfristig bindet. Ich wünsche mir hier mehr Mut, Zukunft zu denken. Denn wir wissen, dass es so nicht weitergehen kann.
Steigende Lebensmittelpreise haben den Kauf nachhaltiger Produkte stagnieren lassen. Welche Entwicklung sehen Sie in diesem Bereich?
Aktuell lässt sich beim Kauf von nachhaltigen und Bioprodukten wieder eine Stabilisierung feststellen. Lebensmittel und Speisen zählen – anders als Mieten oder Kreditraten - zum freien Budget, deshalb wird dort als erstes gespart. Nichtsdestotrotz passiert sehr viel rund um nachhaltige Produkte: Der Zero-Waste-Trend etwa beschäftigt die gesamte Lebensmittelproduktionskette – von der Landwirtschaft über Lebensmittelindustrie, Handel und Gastronomie bis hin zu den Konsument:innen. Und weil nach wie vor etwa ein Drittel unserer Lebensmittel im Abfall landen, gibt es hier auf allen Ebenen noch großes Sparpotenzial. Auch beim Plant-Based-Food-Trend geht es um Nachhaltigkeit, Tierwohl und Klimaschutz. Je besser Fleischersatzprodukte schmecken, desto eher werden Konsument:innen bereit sein, ihren Fleischkonsum zu reduzieren. Doch keine Angst: Das Schnitzel, die Currywurst und der Schweinsbraten werden dennoch überleben, auch wenn wir sie nicht mehr dreimal pro Woche und zu diesen Preisen essen werden.
Fotos: Hanni Rützler © Nicole Heiling